"Nobody said it was easy..." - KI vs. Old School in Entwurf und Illustration
Mitte der 90er Jahre stellte ich mich in einer Agentur inmitten einer Landeshauptstadt vor. Ich bewarb mich als Entwurfszeichner und Storyboarder und bekam ein Vorstellungstermin. Nachdem ich dem GF meine Zeichnungen präsentiert hatte, gab er mir folgendes Feedback...
Er meinte, in seinem Unternehmen seien 35 Kreative beschäftigt– allesamt Kreativdirektoren - die, jeder für sich, zugleich von der Kundenberatung über Layout bis zur Druckvorstufe alles selbst bewältigten. Mit DTP & Co. könne man Entwürfe nicht nur fotorealistisch darstellen -sondern diese praktischerweise auch gleich 1:1 als Druckvorstufe übernehmen.
Handgezeichnete Entwürfe wären also überflüssig und er müsse mir leider absagen. Der GF war mir aber wohlgesonnen und gab mir noch einen Ratschlag mit auf den Weg. Er sagte, er stamme ursprünglich aus Frankfurt am Main und hätte in seiner Laufbahn für recht bekannte Agenturen gearbeitet, so u. a. auch in New York City und London. Er meinte, ich solle meine Zeit nicht vergeuden und in der Provinz nach Abnehmern für meine Zeichnungen suchen. Ich solle dort meine Leistung anbieten, wo sie gebraucht und gekauft würde: in Großstädten mit internationalen Werbeagenturen. In diesen gehörten von Hand gezeichnete Entwürfe zum Tagesgeschäft.
Ich habe damals seinen Rat beherzigt und mich in Frankfurt und München bei Agenturen mit Großkunden beworben. Dann ging es Ruckzuck: ich zeichnete u. für Publicis FCB Storyboards für Renault (später auch für Audi, VW, Nissan und sogar Porsche und einmal ein Ghost-Sketching Job für Colani war mal dabei). Über die vielen Jahre zeichnete ich für echt große Agenturen mit irre großen Marken.
Jetzt fragt man sich, wie ich es hinbekam, dass diese Agenturen meine Entwürfe und Bilder kauften. Wo es doch DTP, Templates und Fotostock-Archive gab! Der Grund ist so simpel wie nachvollziehbar: weil der Kunde sehen will, dass sich jemand „die Hände schmutzig gemacht“ hat.
Einem künstlerischen Entwurf, dem man ansieht, dass die Unvollkommenheit – z. B., in Form typischer, menschlicher Fehler… man denke an Leonardo da Vincis handgezogene Linien in Architekturzeichnungen) zwangsläufig mit dabei ist – schenkt man eher Glauben daran, dass da jemand aus Fleisch und Blut dahintersteht, der sich die Zeit und Mühe gemacht hat, dieses Ergebnis zustande zu bringen. Sprich: der Kunde ist damit davon überzeugt, dass – abgesehen vom Unterhaltungswert („Oh, das ist aber schön! Das ist ja ein richtiger Künstler, ihr Gestalter!“) für sein sauerverdientes Geld auch tatsächlich was „gearbeitet“ wurde. Ganz einfach.
Natürlich spielen hier auch Einfallsreichtum, Raffinesse und kunsthandwerkliches Geschick eine große Rolle, keine Frage. Aber unterm Strich ist der Kunde zufrieden, weil für ihn ein regelrechter Zirkus veranstaltet wurde und dieser sich fürstlich behandelt fühlt. Natürlich gab es darüber hinaus auch Gründe wie Image, Preis und Handling – kein Thema. Aber heute... die AI…
Heute muss ich mit 30 Jahren Berufspraxis feststellen, dass die KI – in meinem Fall: die generative Bilderzeugung, aber auch Video und Text – meinen Alltag auf den Kopf stellt. Ich muss zugeben, dass ich mich geschlagen gebe. Ich habe es jahrelang im Zuge kognitiver Dissonanz -und aus Gründen der Selbsterhaltung- vermieden, mich allzu intensiv mit den Auswirkungen dieser Veränderungen auseinanderzusetzen.
Für mich persönlich sieht es so aus, dass ich jetzt mit der Entwicklung gehe und beide Welten kombinieren werde: die Erfahrungen, die ich in der Old School Grafik sammeln durfte (…ja, ich hatte mit Pinsel und Farbe Plakate gemalt, Aktzeichnen am Modell zelebriert und später mit Stift und Tablett erzeugte Bilder mit Animationen verknüpft) mit heutigen und künftigen KI-Generatoren.
Wie schnell das jetzt alles geht… einfach irre. Klar, es sind häufig noch Korrekturarbeiten zu leisten - damit die Bilder in die Produktion können. Aber es ist einfach umwerfend, wie problemlos man herumexperimentieren kann und wie schnell vorzeigbare Ergebnisse vorliegen. Gerade im Entwurfssektor für interne Abstimmungen – ist das ein Zugewinn.
Klar, es wird, wie bei allem, noch Nischen geben. So einige werden am Alten festhalten, solange es geht. Nur aufhalten können wir es nicht, diese Zeitenwende, die jetzt im Gange ist. Sie wird grundlegende Veränderungen herbeiführen und für unangenehme Verwerfungen sorgen. Aber wer sagt denn, dass das Leben einfach ist…
... Tell me your secrets and ask me your questions
Oh, let's go back to the start
Running in circles, coming up tails
Heads on a science apart
… Nobody said it was easy
It's such a shame for us to part
Nobody said it was easy
No one ever said it would be this hard
Oh, take me back to the start
Coldplay, The Scientist
AI-Art - die Bilderwelten der generativen KI
AI-Art – also Bilder, die von künstlicher Intelligenz erzeugt werden – sind inzwischen allgegenwärtig. Man erkennt die Bilder gewöhnlich an bestimmten Details: an Hackfleischfingern, Picasso-Gesichtern, dritten Beinen und anderen Anomalitäten. Zuallererst hatte ich solche Abbildungen im Zuge kognitiver Dissonanz ignoriert. Wohl schon etwas ahnend, dass bei diesen Bildern, die ja eigentlich nicht ernst zu nehmen sind, irgendwie doch etwas Bedrohliches mitschwingt. Dann, irgendwann, musste ich nach dem Aufwachen feststellen, dass ich wohl von einem Bus überfahren worden bin… Heute kann- und darf ich mich aus überlebenstechnischen Gründen der KI nicht verweigern sondern muss mich mit AI-Art, mit KI-Bildgeneratoren arrangieren. Das gilt wohl nun für alle Designer, Grafiker, Illustratoren, Fotografen aber auch für die Betreiber von Bildagenturen, auf die harte Zeiten zukommen. Funktionsweise Zig Online-Plattformen wie DALL-E ermöglichen es mittels Eingabe von Schlagworten Bilder zu generieren. Die Vorgehensweise ist simpel: das gewünschte Bildmotiv wird inhaltlich beschrieben und Namen von Künstlern und ihren Stilen werden als Orientierungshilfe zur gewünschten Machart eingegeben. Dann generieren KI-Algorithmen Bilder, die mittlerweile so perfekt und eindrucksvoll ausfallen, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Die Preise im Abo-Prinzip für die Erstellung und beliebige Verwendung der heruntergeladenen Bilder unterbieten so ziemlich alles, was man davor kannte. Problematik AI-Art ist zwar von den Möglichkeiten her betrachtet absolut grandios und bombastisch - vernichtet aber gerade hunderttausende- wenn nicht Millionen- Jobs, die von Fotografen, Grafikern und Illustratoren ausgeübt werden. Auch und gerade Bildagenturen sind zweifelsohne davon betroffen und werden das schmerzlich zu spüren bekommen. Wenn nun jeder mit ein paar Wortfolgen hochkarätige Bilder in Sekundenschnelle in beliebigen Stilen generieren lassen können - bedeutet es, dass man bald keine Spezialisten hierfür braucht, die das von der Pieke auf gelernt haben. Illustratoren und Fotografen, die mittels Talents und Kraft ihres handwerklichen Geschicks bisher ihren Berufsstand definierten und meisterten - stehen jetzt vor dem Aus. So einfach. Die digitale Revolution schlägt nun auch hier eine breite Bresche und schreddert gnadenlos alles weg. Das bereitet natürlich viel Entsetzen und sorgt für gewaltige Frustration. Wenn nun alle mit Internetzugang künstlich generierte Bilder in beliebigen Stilen erzeugen können – braucht man keine Profis mehr dafür. Verständlich, weil man viel Geld sparen kann und alle Fragen um Urheberschaft, Copyrights und Lizenzen wegfallen. Noch hat das Massensterben dieser Berufe noch nicht stattgefunden. Noch sind die AI-Art Algorithmen nicht so perfekt, dass sämtliche Fehler automatisch verhindert werden. Aber es ist abzusehen, dass bei dem Tempo in der Entwicklung der generativen KI sehr bald schon auch diese Schwächen behoben sein werden. Dann wird man keine verräterischen Fehler finden, wie die berühmten zehn Wurstfingerhände, Giraffenhälse oder versetzte Picasso-Gesichter - die auf die Herkunft aus KI-Generatoren schließen lassen. Mittlerweile lassen sich künstlich generierte Gesichter nicht mehr von Aufnahmen echter Menschen unterscheiden. Tom Hanks beschwert sich gerade über die Verwendung seines Konterfeis an einem Deep Fake-Avatar, das in Werbevideos auftaucht. Illustratoren, Fotografen und selbst Schauspieler reiben sich verwundert die Augen und blicken in einen Abgrund. Man macht sich ernsthafte Sorgen um die Zukunft. Was leistet die AI-Art und welche Vorteile bringt diese? Die AI-Generatoren setzen blitzschnell Bildideen um zaubern in kürzester Zeit vollständig ausgearbeitete Motive aus dem Nichts herbei. Wenn man noch in der Entscheidungsphase steckt und nach Lösungen sucht - erspart man sich mit diesen Ergebnissen jede Menge Zeit und Geld. Denn man kann für lau die aufwendigsten Stilen ausprobieren, mit den wildesten Kompositionsideen herumexperimentieren und hat sofort Ergebnisse vorliegen. Was kann die AI-Art nicht? Bisher lassen sich nur Pixelgrafiken generieren und es gibt keine Vektorbildausgaben, also keine beliebig skalierbaren Motive. Die auf den Plattformen erzeugten Bilder haben eine 72dpi-Bildschirmauflösung – die sich vor dem Download noch auf den Servern hochrechnen u d vergrößern lassen. Man erhält auf diese Weise zum Download praktisch ein druckreifes Motiv in A4-Größe, was für die meisten Einsätze genügen sollte. Mittels nachträglichem hochrechnen und schärfen, kann man die Motive aber noch auf Magazin-Doppelseite vergrößern, also in etwa ein druckreifes A3-Format verwandeln. Der „menschliche“ Aspekt Die KI-Algorithmen können nicht alles und machen noch Fehler. Noch. So ist es zum Beispiel schwer, die gleichen Charaktere zügig durch Bildreihen durch zu ziehen, denn die Bildgenerierung erfolgt anhand von Zufallsgeneratoren. Das liegt darin begründet, dass die Anbieter der AI-Generatoren sich auf diese Weise schützen und rechtlich absichern: Die Motive werden ja neu geschaffen und nicht einfach als Ganzes geklaut. Die Algorithmen grasen alles an verfügbarem Bildmaterial ab und merken sich Details und Aspekte sowohl der Bilder als auch der Machart. Sie „trainieren“ sich die Bildbeschaffenheit an. Anhand dieser „Erfahrungen“ kann der KI-Algorithmus neue Motive in der gewünschten Stilistik nachahmen und nachbauen: zum Beispiel, ein neues Bildmotiv im Vincent van Gogh-Stil. Weil ein Stil nicht wie eine Marke geschützt werden kann – haben die AI-Plattform-Anbieter rechtlich keine Schwierigkeiten mit ihrem Angebot. Den entsprechenden Künstlern, Illustratoren wie Fotografen wird das weniger gefallen – verhindern oder gar verbieten können sie es jedoch nicht. Fazit Die Kreativbranche ist nicht der einzige Bereich, der von der KI heimgesucht wird: sie wird auch Filmemacher, Architekten, Ärzte, Berater, Mathematiker und Programmierer überflüssig machen. DAS hat bestimmt niemand erwartet.